Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre

 Kardinal Edward Cassidy, Landesbischof Christian Krause, Bischof Walter Kasper, Ishmael Noko.
Bildrechte Fred Schöllhorn

Am 31. Oktober 1999 wurde in St. Anna die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre verabschiedet. Diese gemeinsame Erklärung zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen, die zunächst in beiden Kirchen auf großen Widerstand stieß, hält fest, dass die Lehre von der Rechtfertigung, die das Kernstück lutherischer Theologie ist, nicht kirchentrennend ist. Sie gilt als ein zentrales Dokument der weltweiten Ökumene.

Gemeinsam bekennen wir: allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken.» (GE 15)

 

Die Rechtfertigungslehre geht davon aus, dass Menschen de facto nie dem Anspruch gerecht werden, den Gott an sie stellt. Die Reformatoren sagten, dass man diesem Anspruch nicht durch gute Tagen gerecht werden könne, sondern dass man auf Gottes Gnade vertrauen müsse und ganz auf sie angewiesen sei:

Sola gratia: Allein durch Gnade. Dass Menschen an Gott glauben und Anteil bekommen an seinem Reich, ist ein Geschenk Gottes selbst. Er nimmt Menschen an „aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit ohn all mein Verdienst und Würdigkeit“, so schreibt es Luther. Bei der Gnade ist jedes menschliche Mitwirken ausgeschlossen. Noch nicht einmal große Verfehlungen können die Wirkung der Gnade verhindern, sie ist immer größer als alles, womit Menschen sie verwirken könnten (Römer 5,20).

Sola fide: Allein durch Glauben. Damit der Glaube wirken kann, müssen Menschen sich sozusagen fallen lassen. Das heißt, sie müssen sich ganz Gott anvertrauen. Die Fähigkeit, sich fallen zu lassen, sei letztlich auch ein Geschenk der Gnade, betonen die Reformatoren.


20 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre

Am Reformationsfest 2019 hat das Evangelisch-Lutherische Dekanat zur Jubiläumsfeier „20 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ eingeladen. Rückblick auf die Veranstaltung mit  Bildergalerie.

Pfarrer Peter Thorn, damals Pfarrer an St. Anna, erinnert sich:

Gedenktafel in St. Anna

Es gibt zwei Ereignisse, für die ich im Laufe meines Lebens Zeitzeuge sein durfte, und die mich zutiefst bewegt haben: das Eine war der Fall der Mauer, bzw. die Auflösung der DDR. Das andere war die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zwischen Vertretungen der Römisch katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund. Beides hat ja etwas zu tun mit dem Versuch der Überwindung einer schmerzhaften Grenzziehung und mit Versöhnung. In dem Ereignis im Dom und in St. Anna am 31. Oktober 1999 habe ich etwas gespürt von der Macht des göttlichen Geistes, dem sich kaum einer entziehen konnte.

Lange hatten wir nach dem Tisch gesucht, der in Größe und Würde der Bedeutung des Ereignisses entsprach. Bei den Diakonissen schließlich fanden wir ihn und stellten ihn gegenüber der Kanzel auf. Die zwei alten Ledersessel aus der Sakristei markierten die Plätze für die Unterzeichnenden. Als einer der zwei Zeremonienmeister, wie sie uns nannten, durfte ich zusammen mit einem katholischen Pfarrer die zu unterzeichnenden Dokumente vorlegen.

Verschiedene Ansprachen waren vorausgegangen. Ein Römischer Kardinal auf der Kanzel von St. Anna. Schon das war ein unvergesslicher Eindruck. Mit Gemeindegesang und Gebeten, Chorgesang, Orgelmusik und dem Vortrag wesentlicher Abschnitte aus dem Dokument näherten wir uns dem Höhepunkt. Bischof Kasper und Generalsekretär Noko erhoben sich und ließen sich von uns Zeremonienmeistern zu ihren Plätzen am Tisch der Unterzeichnung geleiten. Wir reichten ihnen die Schreibgeräte und das zu unterzeichnende Dokument, dann tauschten wir die Dokumente und ließen auch sie unterzeichnen. Die beiden erhoben sich. Wir zogen die Sessel ein wenig zurück. Noko und Kasper wendeten sich einander zu. Es war atemlose Stille in der Kirche, nur das geschäftige Hantieren der Fotographen, die sich wie eine Meute am Boden auf den Tisch zu bewegt hatten, war zu hören. Und da geschah, was ich als lutherischer Pfarrer kaum für möglich gehalten hatte: Noko und Kasper umarmten sich.

Ich war froh um den losbrechenden Applaus in der übervoll besetzten Kirche, denn ich konnte meine Rührung kaum verbergen. So könnte es sein mit der versöhnten Verschiedenheit, musste ich denken. Hinter dieses Bild kann unsere Hoffnung nicht mehr zurück.